Der ultimative Lerntypentest

Hat Ihnen schon mal wer gesagt, dass Sie ein visueller Lerntyp sind? Nein? Sind Sie vielleicht ein auditiver oder gar einer der wenigen kinästhetischen Lerntypen? Und haben Sie dann gute Tipps bekommen? Sie sollen mehr schreiben, sich Lernstoff auf den iPod sprechen, beim Lernen auf und ab hüpfen? Sie sollen eher Mindmaps kreieren, eher mit einem Partner im Gespräch lernen, eher Kaugummi kauen? Und hat es gewirkt?

Der letzte Lerntypentest, an dem ich vorigen Sommer als Schüler teilnehmen durfte, ging so:

  1. Vortragender hält nacheinander 10 Bilder in die Höhe. Nach einer Minute Kopfrechnen galt es, die Elemente auf den gezeigten Bildern zu wiederholen (z. B.: Sonne, Esel, Haus, …). Anzahl der gemerkten Bilder notieren.
  2. Vortragender nennt 10 Gegenstände. Dieselbe Vorgehensweise wie oben.
  3. Vortragender zeigt 10 geschriebene Worte. Dieselbe Vorgehensweise wie oben.

Die Anzahl der jeweils gemerkten Gegenstände sollten auf den Lerntyp Rückschlüsse ziehen lassen. Was aber tun, wenn man immer 10 von 10 hat? „Ja, dann haben Sie von allem etwas, so was gibt’s.“ Oder der Schüler hat einfach während des Tests diese Gegenstände in eine Geschichte eingeknüpft und hatte somit kein Problem, alle 10 Gegenstände zu wiederholen. Unfair, dem Test gegenüber?

Ich habe sie satt, diese Lerntypentests. Noch immer überfallen Pädagogen ihre Schülern mit diesen populistischen populären, einfach durchzuführenden Tests um anschließend, selbstverständlich wissenschaftlich fundiert *grins*,  gut gemeinte Lerntipps zu geben, die den Schülern endlich eine Ahnung geben, warum sie sich mit dem Lernen bisher so schwer getan haben. Nein, es war kein Intelligenzproblem, es war nicht die fehlende Motivation, Faulheit oder gar schlechter Unterricht. Nein, nur einfach visuell statt auditiv, auditiv statt kinästhetisch oder kinästhetisch statt visuell gelernt. Problem erkannt, Problem gebannt. Dann braucht der Lehrer es nur noch zu schaffen, beispielsweise die Grenzen von Angola dem Schüler – wiederum beispielsweise auditiv – beizubringen und gleichzeitig all die anderen Lerntypen in seiner Klasse zu bedienen. Einziger Vorteil: Der Lehrer denkt darüber nach, wie er seinen Unterricht anders gestalten könnte.

Meine völlig unwissenschaftliche und aus dem Bauch heraus motivierte Schätzung dazu lautet: Für den Lernerfolg von 100 % entspricht das Wissen um den persönlichen Lerntyp genau 1,2 %. Wichtiger sind Lerntechniken, Motivation, Verständlichkeit des Unterrichts, Schlaf, Sport, Ernährung, psychische Ausgeglichenheit, Muße, angenehme Raumtemperatur, bequeme Unterwäsche und frisch gewaschene Socken.

Nun freut es mich umso mehr, dass es endlich prominente Gegenstimmen zu diesen netten und beliebten Tests gibt. Michael Kerres hat ein Video von der Uni Virginia mit dem Titel „Learning Styles don’t exist“ gefunden:

Jetzt braucht das Video nur noch in den Pädagogischen Hochschulen die Runde zu machen. Und dann als „glaubwürdig“ eingestuft werden. Danach sollte es insoweit Einzug in die Skripten finden, dass zumindest die Lerntypen-Test-Seiten daraus entfernt (oder radikal gekürzt) werden. Also in <error 405: can’t recognize numbers near googol> Jahren.

Im Gespräch höre ich immer wieder, dass die Lerntypentests „nur“ als Anhaltspunkt dienen, aber überhaupt keine Bedeutung für den Unterricht haben. Und dass jeder weiß, dass der Beweis von Lerntypen wissenschaftlich bisher noch nicht erfolgt ist. Aber dass im Kern doch was Wahres dran ist. Und zwar hat es konkret a) „mir selbst“ b) „einem Schüler von mir“ c) „dem Freund eines Schülers von mir“ d) „der Tochter meines Schwagers“ immens geholfen. So falsch können diese Tests dann nicht sein. Und überhaupt. Diese Amerikaner.

Ein unamerikanische Links:

Die Lerntypentheorie – eine Kritik

Ein populärer Irrtum, der sich hartnäckig hält

Lerntypen? Ein pädagogische Konstrukt auf dem Prüfstand (als PDF)

Wissenschaftlicher Beweis der Lerntypentheorie

P. S.: Ja, ich weiß. Die Überschrift ganz oben im Beitrag ist nicht passend. Aber wenn ich „Kritik an Lerntypentest“ geschrieben hätte, dann würde das kaum wer lesen.

Nachtrag vom 17. Februar 2010: Noch eine Untersuchung über die Sinnhaftigkeit von Lernstilen: Learning Styles – Concepts and Evidence

3 Gedanken zu “Der ultimative Lerntypentest

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