Selbstversuch: Lehrer + Schüler + Facebook

Manchmal fühle ich mich wie eine Laborratte. Da rennst du durch ein Labyrinth auf der Suche nach Futter und weißt nie, ob hinter der nächsten Ecke ein Stück Käse oder ein schmerzvoller Stromschlag auf dich wartet. Ähnlich scheint es mir mit den sozialen Netzwerken: Gespannt wie ein Flitzebogen twittern und posten wir uns durch die Welt, ständig auf der Suche nach irgendeinem leckeren Käse, manchmal macht’s „Boing“, aber dann gleich weiter: Running Man. Running Woman.

Derzeit finde ich das Hype-Thema „Facebook“ sehr spannend:

Erstens, weil die alten Medien verzweifelt versuchen, Facebook tot zu reden und zu schreiben. Ich habe einen Google-Alert auf „facebook“ gesetzt: 90 % Negativmeldungen aus der Ecke Print und TV, die zu Recht Angst um ihre Quoten und damit ihre Werbeeinnahmen und ihre Jobs haben. Ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis diese bemerken, dass sich kein vernünftiger Mensch heute mehr dem Zeit- und Themendiktat der Redakteure aussetzen lassen will.

Zweitens, weil die von Kruse auf der re:publica 2010 (Teil1, Teil2, Teil3) so schön beschriebene Wertediskussion „Facebook oder nicht“ tagtäglich im Lehrer-Konferenzzimmer ein Thema ist: Teilweise entschuldigend („Ich habe mich wieder abgemeldet, ich habe keine Zeit dafür“, „… da kommen so viele Schüleranfragen“, „… ich weiß nicht, was ich da reinschreiben soll“, „… mir fehlt da die Gesamtperson“), teilweise schlagzeilen-wiederholend („Facebook hat eine Ehe zerstört“), vereinzelt positiv. Kruse hat dargelegt, dass bei einer Wertediskussion die Fakten unstrittig sind. Jede Diskussion kommt einer Missionierung gleich und es ist fast unmöglich, Einstellungen, Vorurteile und Prägungen durch Gespräche zu verändern, das funktioniert nur durch Erfahrungen.

Seit zwei Jahren nutze ich Facebook. Der Versuchsleite beobachtete bei mir (als Laborratte) folgende Themen bei Postings:

  1. Postings aus dem professionellen Umfeld als Lehrer (Lehren, Lernen, Unterricht, Schule, etc.)
  2. Postings über Bereiche, die Unterrichtsfächer betreffen (Wirtschaftskunde, Politische Bildung, Englisch, Informatik, …)
  3. Postings über Lehreralltag („Klassenarbeiten verbessert“, …)
  4. Postings über das Fernstudium eeducation
  5. Postings über einige private Aktivitäten (Kinobesuch, Buchtipp, …)
  6. Postings, bei denen der Leser lachen kann

Meine knapp 300 „Freunde“ habe ich in folgende Liste unterteilt: Schüler (größte Gruppe), Lehrer, Freunde, Verwandte, Bekannte, Important People, Politiker, Don’t know.  Jede Freundschaftsanfrage von Schülern oder Ex-Schülern wird bestätigt, ich sende selbst allerdings keine Freundschaftsanfragen an Schüler aus. Die Nutzung von Facebook als Lehrer ist in den letzten Monaten erstaunlich gut gelaufen.

Bisherige Erfahrungen und Erkenntnisse:

  • Meinen Schülern (15 – 20 Jahre)  ist durchaus bewusst, wer bei ihnen mitlesen kann und sie posten dementsprechend vorsichtig bzw. chatten dann mit ihrem Partner, wenn sie sich über Lehrkräfte austauschen.
  • Ganz, ganz wenige Ex-Schüler (>20 Jahre) fallen auf, dass sie sich unvorteilhaft über Job und Kollegen äußern. Häufiges Thema: Langeweile im Job. Ganz wenige posten, dass sie gerne zur Arbeit gehen 😉
  • Persönliche Nachrichen an mich sind eine Seltenheit, ca. eine pro Woche.
  • Die meisten Apps habe ich gesperrt und sehe sie deshalb nicht.
  • Den Chat habe ich ausgeschaltet.

Insgesamt plätschert die Facebook-Schiene also in ruhigem Fahrwasser ohne Aufgeregtheit dahin. Mir ist allerdings aufgefallen, dass sich meine Vorbereitungszeit für den Unterricht im letzten Jahr um 10 % erhöht hat. Ich nehme an, dass Facebook und Twitter daran schuld sind. Deshalb habe ich das Firefox-Addon „Leech Block“ installiert und die tägliche Facebook-Zeit auf 10 Minuten begrenzt. Damit komme ich prima aus, weil ich die Postings nur sporadisch lese.

Vorige Woche wurde es Zeit für die Phase 2 des Selbstversuches. In der Schule veranstalteten wir einen Sportnachmittag und ich kündigte an, dass die Videos und Fotos (guckst du) von mir via Facebook veröffentlicht werden. Die Freundschaftsanfragen von Schülern sind seither sprunghaft angestiegen und ich bin gespannt, was da noch kommen wird.

Für die Schule habe ich im August 2009 parallel zur Schul-Homepage eine Facebook Gruppenseite „Berufsschule Rohrbach“ eingerichtet und nirgends beworben. Bisher hat sie über 300 Mitglieder. Vor exakt 14 Tagen legte eine Schülerin eine andere Gruppenseite für die Schule an („BS Rohrbach…wir waren dabei“). Diese hat in diesen zwei Wochen über 400 Mitglieder erreicht! Die Posting-Kultur in beiden Gruppen ist weitgehend angenehm.

What next?

Keine Ahnung. Was weiß ich als Laborratte schon von der Versuchsanordnung?

17 Gedanken zu “Selbstversuch: Lehrer + Schüler + Facebook

  1. kommentar von versuchsratte II …

    bestätigend und ergänzend. auch lehrerin, seit ca. 2 jahren in facebook, twitter, xing … umtriebig. großteils gleiche vorgangsweise & erfahrungen (z.b. schülerinnen werden nur hinzugefügt, wenn sie anfragen) allerdings „entfreunde“ ich aus selbstschutz auch bei zuviel negativen äußerungen über lernen, schule, arbeit.
    gefühlter größter vorteil: die lebenswelt meiner schülerinnen (& tochter;) ist mir seitdem viel näher – man bekommt mehr mit.
    interessanterweise haben meine mädels sowohl den einsatz von moodle als auch ilias verweigert, nutzen aber jetzt gerne die chat- oder nachrichtenfunktion in facebook für fachliche fragen und probleme. vielleicht, weil hier die hierarchie nicht so spürbar ist – man begegnet sich mehr auf augenhöhe.
    (bisherige) konklusio: durch facebook & co hat sich mein persönliches verhältnis zu schülerinnen verbessert & intensiviert. was gut ist.
    und ich warte gespannt auf neue versuchsanordnungen.

  2. Hallo Beatrice,

    vielen Dank für den Kommentar! Die Chat-Funktion war mir nach wenigen Tagen zu anstrengend, weil mir der Small-Talk subjektiv zu langsam und zu zeitaufwändig war. Deshalb habe ich den Chat eigentlich von Beginn an ausgeschaltet, ich bin also ständig „offline“. Für fachliche Fragen kann ich mir den Chat aber ganz gut vorstellen, das ist auf jeden Fall eine Überlegung wert.

    Moodle verwende ich auch regelmäßig und ich gebe Dir recht: Moodle wird nur verwendet, wenn es per Zwang verordnet wird. Und da wird dann auch nur reingeschrieben, was „befohlen“ wird.

  3. Danke für deine Erfahrungen. Ich, noch Lehrer in Ausbildung, bin noch etwas vorsichtig, meinen Facebookaccount für die Schülerschaft zu öffnen. Vielleicht versuche ich es erst mit einem „professionellen“ Account, der nur meine Lehrerperson enthält und meine Privatsphäre weiterhin in meiner Kontrolle belässt.

  4. Hallo, Werner!

    An dem Beitrag finde ich für mich besonders interessant, dass du die Nutzungsdauer zeitlich eingeschränkt hast. Ich mache nämlich auch die Erfahrung, dass der Aufwand fúr die Unterrichtsvorbereitung und -nachbereitung durch die Nutzung von Web2.0-Anwendungen zwar einerseits den Unterricht an sich schon verbessert, aber andererseits die Intensivierung (leider noch) allein zu meinen Lasten geht. Womit wir bei der Komponente Institutionelle Aspekte multimedialen Lehrens/Lernens wären, die es noch gilt angemessen zu gestalten.

    Liebe Grüße,
    Rike

  5. Hallo,

    Facebook ist ja grad unter Lehrern umstritten – nicht ganz unberechtigt, wenn man die schon ziemlich dreiste Daten“schutz“politik von Zuckerberg ins Auge fasst. Dennoch liegen in dergleichen Communities erhebliche potenzen, sie sind nun mal die digitale Heimat zumal junger Leute.Wie man sich als Lehrer zum „Frienden“ mit Schülern stellt, ist auch umstritten – in meiner Lieblings-Englischlehrerliste war kürzlich von Distanzlosigkeit und Anbiederung die Rede…
    Ein vielleicht ganz interessanter Zugriff ist das Nutzen von Facebook-Gruppen für den Austausch zwischen Schülern und Lehrern im Rahmen eines Projekts. Ein solches Projekt zwischen ámerikanischen College-Studenten und deutschen Gymnasiasten hab ich mal hier dokumentiert:
    http://eventualitaetswabe.de/?p=431
    Ein paar Schülerkommentare gibts auch – fand ich ganz spannend.

    Uwe

  6. Vielen Dank für deinen Artikel.
    Ich bin selbst Lehrerin in Ausbildung und bin mir noch nicht ganz sicher, ob mein Facebook-Account, wenn ich einmal unterrichte, weiterhin bestehen bleiben soll.
    Schließlich wurde ich bei einem Praktikum an einem Gymnasium von Schülern auf Informationen meiner Seite, die manchmal auch nicht ganz angenehm sind, angesprochen

  7. Schöner Artikel, weitestgehend teile ich deine Erfahrungen und deine Einstellungen zu Facebook.

    * Es gibt beispielsweise sehr wenig Statusmeldungen von Schülern, die ins Exzessive abrutschen. Die Kommentare sind oftmals eher melancholisch, auch bei Schülern, von denen ich das nicht so erwartet hatte.

    * Freundschaftsanfragen von Schülern beantworte ich immer, selber schicke ich ebenfalls nichts ab. Problematisch sehe ich schon eher die Behandlung von Themen aus dem Schulalltag, die an der Pinnwand von Schülern/Lehrern angesprochen werden. Dort würde ich sehr vorsichtig sein.

    * Bei Klassenfahrten etc. wird Facebook als das Kontaktmedium genutzt, sowohl davor als auch danach. Man merkt an den dortigen Reaktionen, beispielsweise durch die Kommentierung von Fotos, wieviel Eindruck solche Erlebnisse auf die Schüler doch gemacht haben.

  8. Insgesamt ist das für mich ein sehr schwieriges Thema.
    Da ich selbst FB relativ aktiv nutze, muss ich mir die Frage stellen, welche Inhalte denn auch von meinen Schülern gelesen werden und wie diese dann dort ankommen. Daher habe ich mich so festgelegt, dass ich Freundschaftsanfragen kategorisch ablehne. Meine Kollegen halten das genauso. Letztenendes geht es ja auch ein Stück weit um die Wahrung meiner Privatsphäre nach meiner Arbeit.
    Problematischer sehe ich den Umgang meiner Schüler mit dem Medium. Vorausgeschicken muss ich hier, dass ich an einem Förderzentrum für lern- und geistigbehinderte Schüler arbeite. Leider ist es hier bei so vielen meiner Schüler nicht möglich, dass die Eltern die Mediennutzung begleiten.
    Problembereich 1: Mag vielleicht manch Kollegen an einer Regelschule absurd erscheinen, aber durch Chats und Mails sprechen meine Schüler oft aneinander vorbei. Hier liegt großes Konfliktpotential, was sich dann meist in der Schule entlädt. Viele meiner Schüler sehen aufgrund der räumlichen Distanz in der Freizeit kaum, weshalb ein Chat ja durchaus eine ergänze Möglichkeit zur Pflege von Freundschaften sein könnte. Mit diesen Konflikten müssen wir irgendwie umgehen, auch wenn sie im privaten Freizeitbereich entstanden sind.

    Problembereich 2: Meine Schüler sehen den Umgang mit ihren persönlichen Daten, bzw. mit dem Anbieten von Freundschaften sehr locker. Auch hier fehlt es leider oft an der Begleitung und Unterstützung der Eltern, denn wir können hier in der Schule maximal einen Anstoß geben.

    Problembereich 3: Meine Schüler tun sich oft unheimlich schwer mit dem Respekt vor der Privatsphäre anderer. Gerade im vermeintlich anonymen Internet verwischen sich da Grenzen noch mehr. Ich selbst hab kein Problem damit dreimal die Woche Freundschaftsanfragen zu ignornieren, Nachrichten zu löschen, bzw. Einstellungen so vorzunehmen, dass dies gar nicht erst vorkommt. Geschwister und andere Familienmitglieder der Schüler sehen dies aber offensichtlich anders uns stehen dann plötzlich mitten drin in Kommunikationssituationen, bzw. in den daraus resultierenden Konflikten mit Menschen, die sie oft noch nichtmal gesehen haben. Es zieht also immer weitere Kreise.

  9. Ich bin derzeit Referendar, und habe von Anfang an Schüleranfragen auf Facebook angenommen. Die Bedenken gegenüber Facebook kann ich nur bedingt verstehen. Ich sehe Facebook als Medium zur Selbstvermarktung. Das bedeutet, ich würde niemals irgendetwas posten, was nicht JEDER über mich wissen darf. Also keine peinlichen Fotos, keine blöden Kommentare.

    Ich habe zu meinen Schülern (vermutlich u.a. durch FB) ein super Verhältnis. Es kann natürlich passieren, dass mich Schüler mitten in der Stunde auf meinen Radausflug mit meiner Freundin am Wochenende ansprechen. Dann sage ich ganz klar, dass während dem Unterricht private Themen tabu sind. Aber ansonsten hat man immer ein Thema für den Smalltalk mit den Schülern, z.B. beim Betreten der Klasse. Man sieht was bei den Schülern privat passiert, und die Schüler sehen, dass der Lehrer auch ein ganz normaler Mensch ist.

    Die einzige negative Erfahrung war mit einer Schülerin aus einer Klasse, die ich nicht unterrichte, die mich offen im Chat (den ich dann sehr schnell abgebrochen habe) angebaggert hat, und dann vor ihren Freundinnnen angegeben hat, dass sie mit mir gechattet hat und behauptet hat, dass ich auf sie stehe. Der habe ich natürlich einen ordentlichen Schuss vor den Bug verpasst. Die Chat Funktion bleibt seitdem meistens auch aus, bzw. ich reagiere nicht mehr auf Chatanfragen, was ich auch jedem Lehrer empfehlen würde. Es kommt zwar selten vor, dass mich Schüler anchatten, aber das war bisher nur Zeitverschwendung. Postings sind ok, wenn Schüler meine Postings kommentieren reagiere ich auch darauf, aber bei den Postings meiner Schüler halte ich mich raus.

    Eine besonders positive Erfahrung hatte ich mit einem Nachhilfevideo weches ich auf Youtube veröffentlicht habe, das sich dann mittels Facebook innerhalb von wenigen Tagen bis in Parallelklassen und andere Klassenstufen verbreitet hat und von den Schülern als sehr hilfreich eingestuft wurde.

    Mein Fazit: Keine Angst vor Facebook als Lehrer!

  10. Ich bin seit Jahren als Nachhilfelehrer tätig und kann Facebook nur minder als Tipp anpreisen. Ja, man kann mit den Schülern gut in Kontakt bleiben, Termine ausmachen, sich austauschen, etc. Aber zum (Online)Lernen gibt es gute Plattformen, die genau darauf ausgerichtet sind.

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