Gleichgültige Schwämme?

„Sind Sie sich darüber im Klaren, dass täglich etwa fünfhundert Stunden Radio und Fernsehen über die verschiedenen Kanäle verbreitet werden? Wenn Sie nicht schlafen und nichts anderes tun würden, könnten Sie nicht einmal ein Zwanzigstel der Unterhaltung verfolgen, die per Knopfdruck verfügbar ist! Kein Wunder, dass die Menschen gleichgültige Schwämme geworden sind, die alles aufnehmen, aber niemals selber etwas erschaffen. Wussten Sie, dass die Menschen jetzt im Durchschnitt drei Stunden täglich fernsehen? Bald werden sie überhaupt kein eigenes Leben mehr haben. Es wird eine Vollbeschäftigung sein, die verschiedenen Familienserien im Fernsehen zu verfolgen!“

Kommt Ihnen bei diesem Text etwas seltsam vor? Ja? Zum einen sind das die 500 Stunden Radio und Fernsehen, die täglich gesendet werden. Das wäre ja nur knapp 24 Sender, bei einem 24-Stunden-Programm. Also viel zu wenig. Und wie viele Stunden sieht der Durchschnittsoberösterreicher fern? Wirklich drei Stunden täglich? Tatsächlich sehen 66 % eine bis drei Stunden täglich fern (BIMEZ-Studie 2009).

Geschrieben hat diesen Text Arthur C. Clarke im Roman „Die letzte Generation“, und zwar im Jahr 1953. Was ist aus uns geworden, nach über 50 Jahren Fernsehen? Gleichgültige Schwämme? Können wir es uns noch vorstellen, tagtäglich 2 – 3 Stunden vor der Kiste zu sitzen und passiv zu konsumieren? Greifen wir zum Buch oder zur Zeitung, wenn „gerade nichts im Fernsehen ist“?

Oder läuft nebenbei das Net- oder Notebook und der Fernseher ist nur Hintergrundkulisse. Oder sehen wir uns gezielt Beiträge via TV-Thek an und genießen dabei, nicht warten zu müssen, bis der spannende Beitrag, den wir sehen wollen, endlich kommt. Oder lieben wir es, auch am nächsten oder übernächsten Tag via Internet versäumte Beiträge anzusehen, weil wir gestern oder vorgestern was besseres zu tun hatten,  als um 22:30 einzuschalten oder den Rekorder zu programmieren. Mögen wir es, im Zug fernzusehen, beim Umsteigen das Programm anzuhalten und dann wieder weiterzumachen? Oder stellen wir uns unser eigenes Programm mittels DVD,  Podcasts, Hörbücher und Blogs zusammen und verzichten weitgehend auf den Programmredakteuer, der fünfzig Jahre lang bestimmt hat, was uns heute, jetzt und hier zu interessieren hat?

Oder produzieren wir sogar selbst Content via Youtube, Facebook, Twitter, Flickr, Friendfeed, schreiben in Blogs, Wikis und WasDaNochKommenMag. Und ist das hier ein weiterer Science-Fiction Beitrag oder die Wirklichkeit? Für wen ist das die Wirklichkeit?

Nach einer Microsoft-Studie wird im Juni 2010 das Verhältnis Fernsehen – Internet kippen: Wir Europäer werden erstmals mehr Zeit im Internet als vor dem Fernseher verbringen. Im Durchschnitt.

Gleichgültige Schwämme? Ja, das war vielleicht mal. Geschichte.

7 Gedanken zu “Gleichgültige Schwämme?

  1. Interessanter Blickwinkel…;-))
    Ja, zu allen Zeiten wurde das was die Menschen gerne tun, in irgendeiner Weise verteufelt. Wenn damals der Mensch schon als überschwemmt angesehen wurde, wie könnte es dann heute anders sein!
    Aber – wir haben immer noch die Wahlmöglichkeit, heute mehr denn je – wie treffend beschrieben!
    Lassen wir uns also nicht davon beeindrucken, was andere an Befindlichkeiten von sich geben!
    Natürlich müssen wir selektieren. Aber das mußten wir immer… “ Mut zur Lücke“ habe ich immer gesagt. Ich muss nur wissen, wo ich nachlesen kann, wenn ich etwas brauche..
    Und das heute mehr denn je…;-))

  2. Kulturpessismus bzw. Kritik an den bestehenden Verhältnissen (Überforderung, Verderbtheit, Degeneration) gab es schon immer (man denke nur an die Kritik an den ersten Leihbibliotheken) und so wird es wohl auch bleiben.
    Allerdings denke ich auch, dass ein Medium oder eine Vielzahl von Medien auch nicht die gesamte Menschheit verändert. Der Anteil an Menschen, der die schönen neuen Möglichkeiten des Web 2.0 produktiv und aktiv nutzt, wird allein durch ihre Existenz wohl nicht all zu sehr steigen.

  3. Mich fasziniert immer wieder, mit welchem Einsatz du für die Neuen Medien plädierst – hier und anderswo! Dass wir nicht alle Nutzer über einen Kamm scheren können, muss tatsächlich immer wieder klar gemacht werden. Ein Zitat – im Zusammenhang mit Rollenspielen – aus einer Diplomarbeit z.B. hinsichtlich Suchtverhalten und Mediennutzung passt auch hier hin und unterstreicht, dass wir uns von Vorurteilen lösen und bei Einschätzungen wirklich genauer hinsehen müssen: „Jedoch muss ganz selbstverständlich berücksichtigt werden, dass es sich bei den Menschen mit exzessivem Spielkonsum mit 5% des Gesamtsamples um eine
    Minderheit der Spieler handelt. Eine verallgemeinernde Aussage wie „Rollenspieler wollen der Realität entfliehen“, ist schlichtweg falsch.“ (Quelle: http://www.staff.uni-mainz.de/cyprao/diplom-arbeit.pdf)

  4. Ein wirklich interessantes Thema, das du hier ansprichst. Mir ist auch in den vergangenen Jahren eine groß Verändeurng aufgefallen. Meine Kinder verbringen fast ihre komplette Freizeit mit Computer und TV, tun sie das einmal nicht, wissen sie garnichts mehr mit sich anzufangen. Eine wie ich finde, sehr traurige Entwicklung…

  5. Sehr schöner Text. Ich muss mich selbst auch immer davon abhalten, fern zu sehen. Aber oft ist es einfach eine leichte Alternative zum selber handeln. Gäbe es kein Fernsehen, denke ich mir dann oft, hätte ich schon so viel mehr erreicht. Das ist wirklich schockierend, aber eben stets eine Ausrede dafür, nichts zu machen.
    Wäre schön wenn dieser Trend irgendwann wieder zurückgeht, ich glaube es aber kaum…

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